Die Werkstattwahl

Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts hat für Aufsehen gesorgt: Werkstattbeschäftigte sind bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt. Die Folgen können gravierend sein. 

Ab 50 Wahlberechtigten greift das förmliche Wahlverfahren (§§ 1 ff. SchwbVWO). Voraussetzung für eine Wahlberechtigung der Werkstattbeschäftigten bleibt die anerkannte Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nach § 2 Abs. 2,3 SGB IX.

Welche Bedeutung hat diese Entscheidung für die Praxis?

Konsequenz Nr. 1:

Bei der anstehenden SBV-Wahl 2026 wird die Zahl der Wahlberechtigten in den Wekstätten vermutlich deutlich ansteigen. Dies kann Auswirkungen auf das Wahlverfahren haben. 

Besteht der Betrieb nicht aus räumlich weiter auseinanderliegenden Teilen und sind dort weniger als 50 Wahlberechtigte beschäftigt, greift das vereinfachte Wahlverfahren (§ 18 ff. SchwbVWO). Ansonsten gilt das wesentlich komplexere förmliche Wahlverfahren (§§ 1 ff. SchwbVWO).

Welches Wahlverfahren angewendet wird, ist nicht frei wählbar. Es ist zwingend an die gesetzlichen Vorgaben gebunden.

Tipp: Vertrauenspersonen in Werkstattbetrieben sollten mit ihrem Arbeitgeber frühzeitig das Gespräch suchen, um die genaue Anzahl der Wahlberechtigten zu klären. Auch über mögliche Konsequenzen hinsichtlich des Wahlverfahrens sollte dabei gesprochen werden.

Konsequenz Nr. 2

Ab 100 zu betreuenden Kolleginnen und Kollegen kann die SBV freigestellt werden (§ 179 Abs. 4 Satz 2 SGB IX) und ab 101 betreuten Kollegen kann sie den ersten Stellvertreter zu bestimmten Aufgaben heranziehen (§ 178 Abs. 1 Satz 4 SGB IX).

Auch wegen dieser möglichen Konsequenzen sollte frühzeitig das Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht werden. Im Rahmen des Gebots zur engen Zusammenarbeit sollte analysiert und geklärt werden, inwieweit eine (Teil-)Freistellung notwendig und gewünscht wird. Denn ein Anspruch auf Freistellung einer Schwerbehindertenvertretung kann weitreichende Konsequenzen für die Arbeitsorganisation haben. 

Wichtig: In Werkstätten unter kirchlicher Trägerschaft können aufgrund mitbestimmungsrechtlicher Besonderheiten abweichende Regelungen gelten.

SBV-Tipp:

Vertrauenspersonen in Werkstattbetrieben sollten mit ihrem Arbeitgeber frühzeitig das Gespräch suchen, um die genaue Anzahl der Wahlberechtigten und die Konsequenzen hinsichtlich des Wahlverfahrens zu klären. Ebenso sollte über das Thema Freistellung gesprochen werden: Im Rahmen des Gebots zur engen Zusammenarbeit sollte analysiert und geklärt werden, inwieweit eine (Teil-)Freistellung notwendig und gewünscht wird. denn ein Anspruch auf Freistellung einer Schwerbehindertenvertretung kann weitreichende Konsequenzen für die Arbeitsorganisation haben.

Hier https://www.biva.de/startseite/duerfen-menschen-die-unter-betreuung-stehen-waehlen/ finden Sie eine Auflistung der Kriterien zur Ausübung des Wahlrechts bei Werkstattbeschäftigten/Heimbewohnern. Einschränkungen können sich für diejenigen Personen ergeben, die auch mit Unterstützung keine eigene willentliche Wahlentscheidung treffen können.

Die Richter betonen in ihrem Beschluss vom 23.10.2024, „dass Sinn und Zweck der Regelungen zur Schwerbehindertenvertretung für die Wahlberechtigung der schwerbehinderten Werkstattbeschäftigten sprechen“ würden:  Der Gesetzgeber beschränkt die Schwerbehindertenvertretung nicht auf die Interessenwahrung der schwerbehinderten Arbeitnehmer, sondern erstreckt sie auf die Vertretung der Interessen aller schwerbehinderten Menschen in dem Betrieb. Zu diesen gehören die Werkstattbeschäftigten. Aus Gründen demokratischer Legitimation ist es daher angezeigt, ihnen das aktive Wahlrecht zu dem Organ zuzuerkennen, das ihre besonderen Interessen als Schwerbehinderte wahrzunehmen hat.“
In dem künftigen „Nebeneinander“ von SBV und Werkstattrat und deren ggf. überschneidenden Aufgabenfeldern sieht das Gericht kein Problem: „Eine Repräsentanz der schwerbehinderten Werkstattbeschäftigten durch die Schwerbehindertenvertretung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil für diese Beschäftigtengruppe die Regelungen der §§ 219 ff. SGB IX (Werkstätten für behinderte Menschen) gelten“ und sie besondere Mitwirkungsrechte durch die Bildung von Werkstatträten haben (§ 222 Abs. 1 SGB IX).  Diese besondere Beteiligungsform ist dem Umstand geschuldet, dass Werkstattbeschäftigte nicht unter den „Schutz“ und Anwendungsbereich des BetrVG bzw. PersVG fallen und entsprechend auch nicht darüber repräsentiert werden. „Bei den Werkstatträten handelt es sich aber nicht um eine gegenüber der Schwerbehindertenvertretung speziellere und ausschließliche Interessenvertretung“, so die Richter. Vielmehr stehen diese gleichrangig nebeneinander. 

Hier erläutern die Richter in ihrem Beschluss vom 23.10.2024: „Werkstattrat und Schwerbehindertenvertretung vertreten die Interessen von Personengruppen, die sich nur zum Teil überschneiden: Der Werkstattrat vertritt nach § 222 Abs. 1 SGB IX die Interessen der behinderten Menschen im Arbeitsbereich (§ 58 SGB IX) unter Berücksichtigung der Interessen der im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich (§ 57 SGB IX) tätigen behinderten Menschen, solange für diese eine Vertretung nach § 52 SGB IX nicht besteht. Demgegenüber vertritt die Schwerbehindertenvertretung die individuellen und kollektiven Interessen sämtlicher schwerbehinderter und diesen gleichgestellten Menschen im Betrieb“. 
Es sei kein Grund ersichtlich, „warum die SBV nicht auch für schwerbehinderte Werkstattbeschäftigte die Durchführung der zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Vorschriften überwachen oder Anregungen und Beschwerden dieser Personengruppe entgegennehmen sollte.“ 
Das Gericht verweist hier auf die Parallelen zu den vergleichbaren Aufgaben eines Betriebsrates im Zusammenhang mit schwerbehinderten Arbeitnehmern (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4, § 84 BetrVG). 
Kompetenzüberschneidungen und -konflikte sollen im Sinne des vertrauensvollen Zusammenarbeitsgebots nach § 8 Abs. 1 Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) gelöst werden, so die Richter in ihrer Urteilsbegründung.

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Das vereinfachte Wahlverfahren...

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