Briefwahl im vereinfachten Wahlverfahren
Während der Corona-Pandemie hatte der Gesetzgeber – befristet bis einschließlich 19. März 2022 – die Möglichkeit geschaffen, die Wahlversammlung im vereinfachten Wahlverfahren mittels Video- und Telefonkonferenz und den tatsächlichen Wahlvorgang per Briefwahl durchzuführen, § 28 Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen (SchwbVWO).
Diese Regelung ist nun dauerhaft im § 20 Abs. 5 der Wahlordnung festgeschrieben und lautet:
Wie kann dieses Verfahren in der Praxis umgesetzt werden?
Vorbereitungen zur Durchführung der Video- und Telefonkonferenz
- Die aktuelle SBV lädt mindestens drei Wochen vor Ende der Amtszeit zur Wahlversammlung ein
- Die Wahlversammlung selbst kann per Telefon- und Videokonferenz stattfinden, wenn sichergestellt ist, dass Dritte keinen Zugang erhalten. Eine gleichzeitige Durchführung der Wahlversammlung als Präsenzveranstaltung und Video- und Telefonkonferenz ist unzulässig. Eine Aufzeichnung ist nicht gestattet. Sämtliche Abstimmungen, mit Ausnahme der Wahl der Vertrauensperson und Stellvertreter(n), erfolgen per Handzeichen oder Umfragetool.
- Der Wahlleiter wird in der Sitzung durch einfache Mehrheit bestimmt, evtl. werden noch Helfer gewählt
- Prüfung der Wahlberechtigten
- Abstimmung über die Anzahl der Stellvertreter
- Wahlvorschläge für die Schwerbehindertenvertretung
- Wahlvorschläge für Stellvertreter
(Anmerkung: ab hier greift der im § 20 Abs. 5 enthaltene Verweis auf die Vornahme der eigentlichen Wahl via Briefwahl gem. § 11 SchwbVWO. Daher muss die Wahlleitung zunächst die Briefwahlunterlagen zusammenstellen und an alle aktiv Wahlberechtigten versenden. Diese wiederum müssen dann bis zu einem bestimmten, in der Wahlversammlung festzulegenden Stichtag („Wahltag“, Empfehlung: mind. drei Wochen später) die ausgefüllten Wahlunterlagen an die Wahlleitung zurücksenden) - Ende der Videokonferenz
Vorbereitung der Briefwahl - Wahlleitung und Helfer erstellen (§ 11 SchwbVWO)
- eine Kopie des Wahlausschreibens
- die Stimmzettel für die Wahl der Vertrauensperson, der Stellvertreter und die Wahlumschläge
- eine vorgedruckte Erklärung, die die Wähler abgeben
- einen größeren Freiumschlag, der die Anschrift des Wahlvorstandes und als Absender Namen und Anschrift der wahlberechtigten Person sowie den Vermerk „Schriftliche Stimmabgabe“ trägt
- ein Merkblatt zu allen vorstehenden Punkten
Der „Wahltag“
- Öffentliche Auszählung in sinngemäßer Anwendung des § 12 SchwbVWO
- Wahlleitung öffnet Umschläge, überprüft die Gültigkeit und danach werden die Stimmzettel (im Umschlag) in die Urne geworfen.
Praxistipp:
Verwenden Sie für die Wahl der SBV und der Stellvertretung jeweils unterschiedliche farbige Umschläge
- Auszählung
- Benachrichtigung der Gewählten, Bekanntmachung des Wahlergebnisses wie im förmlichen Wahlverfahren
Eine gleichzeitige Durchführung einer Wahlversammlung sowohl als Präsenzveranstaltung als auch per Video- und Telefonkonferenz dürfte derzeit unzulässig sein, da in § 20 Abs. 5 SchwbVWO nicht die „Teilnahme“ mittels Video- und Telefonkonferenz ermöglicht wird, sondern nur von der Durchführung auf diesem Weg die Rede ist.
Wird die Wahlversammlung mittels Video- und Telefonkonferenz durchgeführt, können unter Sicherstellung des Ausschlusses Dritter aber auch mehrere Kollegen vor einem Bildschirm an der Video- und Telefonkonferenz teilnehmen; ob dies von zu Hause oder am Arbeitsplatz erfolgt, spielt hierbei dann keine Rolle.
Im vereinfachten Wahlverfahren ist zunächst nur vorgesehen, dass ein Wahlleiter auch in der digitalen Wahlversammlung bestimmt wird, der dann die Briefwahl organisiert und durchführt. Es empfiehlt sich in diesem Fall Wahlhelfer zu bestellen, die den Wahlleiter bei den praktischen Arbeiten unterstützen (z.B. Zusammenstellen und Versenden der Briefwahlunterlagen). Denkbar wäre auch, dass die digitale Wahlversammlung eine Stellvertretung des Wahlleiters bestellt, falls dieser bei der Durchführung der Briefwahl verhindert ist (z.B. Krankheit, Urlaub).
Da der Gesetzgeber hier keine Klarstellung vorgenommen hat, gibt es derzeit unter Juristen unterschiedliche Meinungen:
- Kein Stimmrecht für Nichtteilnehmer
Hier wird argumentiert, dass im vereinfachten Wahlverfahren nur derjenige wählen darf, der auch persönlich an der Wahlversammlung teilgenommen hat. Für die digitale Wahlversammlung würde- in Ermangelung einer gesetzlichen Norm- daher nichts anderes gelten.
- Stimmrecht für Nichtteilnehmer
Die Vertreter dieser Ansicht gehen davon aus, dass die Teilnahme an der Wahlversammlung als Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts durch die Einführung der digitalen Wahlversammlung aufgehoben worden sei. Zudem sei die Beschränkung des Wahlrechts ein so starker Eingriff in demokratische Grundsätze, dass hierfür eine ausdrückliche gesetzliche Regelung notwendig sei. Es sei auch nicht einleuchtend, dass ein Teilnehmer, der nur wenige Minuten auf der digitalen Wahlversammlung anwesend war und daher z.B. nicht an der Kandidatenfindung teilgenommen hat, dann dennoch wahlberechtigt sei nach Ansicht der Vertreter Meinung 1.
ifb-Empfehlung:
Die Möglichkeit der digitalen Wahlversammlung wurde sehr kurzfristig und ohne praktische Umsetzungshinweise in die Wahlordnung aufgenommen; aktuell liegt keine Rechtsprechung zu der Thematik vor und es mag für beide Argumentationen gute Gründe geben. Um die Rolle der SBV im Betrieb oder der Dienststelle zu stärken und ihr eine möglichst breite Wählerunterstützung zuzusichern, würden wir Variante 2. empfehlen.
Zunächst dürfte für die Festlegung der Fristen die Wahlversammlung selbst zuständig sein, der Wahlleiter kann einen entsprechenden Beschluss auf der Versammlung einholen. Die Wahlunterlagen sollten zeitnah nach der Versammlung verschickt werden. Als Rücklauffrist empfiehlt sich ein Zeitraum von mindestens zehn Tagen.
Da der Wahlleiter die Briefwahlunterlagen nach § 20 Abs. 5 SchwbVWO i.V.m. § 11 SchwbVWO „den Wahlberechtigten unaufgefordert zu übersenden“ hat, braucht er deren aktuelle Adressen. Der Arbeitgeber hat ihm diese zur Verfügung zu stellen, ansonsten würde eine unzulässige und verbotene Behinderung der Wahl vorliegen, § 177 Abs.6 SGB IX i.V.m. § 20 BetrVG .
Unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten ist die Übermittlung der Beschäftigtendaten zulässig, da der Arbeitgeber hier seiner Pflichterfüllung nachkommt, § 26 Abs. 3 BDSG.
Auch im digitalen Wahlverfahren muss eine öffentliche Stimmenauszählung stattfinden. Ort und Zeitpunkt kann durch die Wahlversammlung festgelegt und sodann in gleicher Weise wie die Einladung zur digitalen Wahlversammlung nochmals an geeigneten Stellen im Betrieb bekannt gemacht werden. Auch eine zusätzliche elektronische Veröffentlichung ist denkbar.
Aus dem Verweis in § 20 Absatz 5 SchwbVWO auf § 11 SchwbVWO ergibt sich, dass im Falle einer digitalen Wahlversammlung die nachgelagerte Briefwahl auf einem Stimmzettel durchgeführt wird, in dem getrennt die Stimmabgabe für die Vertrauensperson und für die Stellvertreter erfolgt. § 11 SchwbVWO spricht von „dem Stimmzettel und dem Wahlumschlag“. Auch hier ergibt sich somit ein Unterschied zu einer Wahlversammlung in Präsenz, in der für die Wahl der Vertrauensperson und anschließend der Stellvertreter zwei getrennte Stimmzettel verwendet werden.
Notwendig dürfte wenigstens eine in Textform gehaltene Versicherung jedes Teilnehmers sein (z.B. per Mail oder im Chat), dass weder Dritte im Raum sind, die von der Versammlung Kenntnis nehmen könnten noch, dass eine Aufzeichnung stattfindet.